Sonntag, 29. August 2010

Sarrazin

Habe einen Leserbrief an die Märkische Allgemeine, meine Regionalzeitung, geschrieben, um als kleines Gegengewicht zu wirken:
Leserbrief zu Ralf Schulers „Thilo Trotzig“
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wer das nicht wahrhaben will oder glaubt, die Einwanderung ließe sich stoppen oder gar rückgängig machen, ist realitätsblind. Dass ein Großteil der Einwanderer muslimischen Glaubens ist, scheint bei einigen Mitbürgern tiefe Besorgnis auszulösen. Offenbar fürchten sie in erster Linie, im eigenen Land zu einer Minderheit zu werden, sich fremd fühlen zu müssen. Diese Ängste stützen sich z.B. auf Statistiken zur Geburtenrate muslimischer Frauen. Hinzu kommt ein Ärger darüber, dass Migranten von Sozialleistungen profitieren, ohne selbst durch Steuern und Abgaben einen Beitrag zu den Sozialkassen geleistet zu haben.
Solche an sich verständlichen Gefühle könnte man rational angehen und an der Realität überprüfen, wie berechtigt sie sind. Herr Sarrazin tut das Gegenteil. Er sucht, findet und interpretiert Zahlenmaterial, das diese Gefühle bestätigt und vertieft. Aber jeder weiß, dass sich mit Statistiken vieles beweisen lässt und dass es z.B. zu fragwürdigen Zukunftsprognosen kommt, wenn man bestimmte Entwicklungen einfach linear hochrechnet.
Nehmen wir die Geburtenrate muslimischer Frauen als Beispiel. „Die Geburtenrate von Einwanderinnen der zweiten Generation hat sich in Deutschland der von Einheimischen weitgehend angepasst. Zwar sind Migrantinnen, die hier geboren wurden, bei der Heirat im Durchschnitt zwei Jahre jünger als Deutsche und werden entsprechend früher Mutter. Doch finden sich dann bei der Kinderzahl kaum noch Unterschiede zu Frauen ohne Migrationshintergrund.“ (Universität Rostock)
Nehmen wir den mangelnden Schulerfolg muslimischer Schüler. Zum Mittleren Schulabschluss im Land Berlin teilte die Senatsverwaltung dieses Jahr mit: „Deutliche Verbesserungen gab es bei den Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache, insbesondere bei den türkischen Schülern, von denen 76 Prozent (gegenüber 67 Prozent im Jahr 2007) erfolgreich waren.“ Zum diesjährigen Abitur erfahren wir aus derselben Quelle: „Der Anteil der Abiturientinnen und Abiturienten mit Migrationshintergrund beträgt berlinweit 15,6 Prozent (Vorjahr: 11,49 Prozent); 9,81 Prozent mit deutscher und 5,79 Prozent ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die größte Gruppe stellen die türkisch-stämmigen Schülerinnen und Schüler: 469 mit und 267 ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Von diesen 736 haben 45 Schülerinnen und Schüler ihr Abitur mit besser als 2,0 absolviert.“
Meiner Meinung nach zeigen diese Zahlen beispielhaft, dass in Deutschland auch muslimische Einwanderer in hoher Zahl bildungswillig und integrationsbereit sind. Wird unsere Gesellschaft diesen Absolventen unseres Bildungssystems Lehrstellen geben und berufliche Chancen einräumen? Wo ist der Personalchef, der Halil Yilmaz eine Chance gibt, wenn das Zeugnis stimmt?
Ich bin seit über 30 Jahren Lehrerin an einer Neuköllner Schule und kann mir ein Urteil über Migranten und ihre Kinder, insbesondere was ihren Bildungswillen und ihre Integrationsbereitschaft betrifft, erlauben. Ich unterstelle Herrn Sarrazin eine bewusst einseitige und verzerrende Interpretation der Fakten, sei es aus persönlicher Profilneurose, sei es, weil er inhaltlich längst rechtsradikale Positionen vertritt.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Elektronik im Unterricht

Laut Schulordnung ist der Betrieb von Handys und MP3-Playern in der Unterrichtszeit verboten. Das scheint auf den ersten Blick auch sinnvoll zu sein. Kreative Klingeltöne aus der Tiefe des Raums, Simsen unterm Tisch, telefonische Hilferufe während der Klausur oder gar "lustige" Videos von Klassenkameraden, die sich streiten oder schlagen - das alles wollen wir nicht. Ganz zu schweigen von heimlich aufgenommenen Szenen, die auf dem Lehrertisch tanzende Kollegen der geneigten Youtube-Öffentlichkeit vorstellen.
Doch an der Wahrnehmung dieser neuen Medien als generell schulschädlich sind mir in letzter Zeit Zweifel gekommen. Sollen die Schüler z.B. im Französischunterricht eigene Texte verfassen, ist ein Wörterbuch sehr hilfreich. Konkret bedeutet dies, dass ich oder ggf. willige Helfer (bei Partnerarbeit) mindestens 14 Wörterbücher in den 4. Stock hoch- und dann wieder herunterschleppe(n).
Nun haben einige Schüler aber entsprechende Programme auf ihrem iPod bzw. per iPhone Zugang zum Internet, was die Suche nach Vokabeln bzw. grammatischen Formen erheblich beschleunigt und vereinfacht. Gibt es ein ernstzunehmendes Argument, das das Blättern in der gedruckten und kiloschweren Papierfassung gegenüber dieser Form der Informationsbeschaffung als höherwertig sieht? Eventuell: Man macht sich dann so abhängig von der Technik? Schließlich haben es die Leute ja auch verlernt, sich Telefonnummern zu merken, da sie diese inzwischen gespeichert mit sich herumtragen. Ein Beispiel: Ich suche bei der Unterrichtsvorbereitung ein bestimmtes Gedicht - sagen wir mal von Goethe. Was ich tun könnte: runtergehen zum Bücherregal, Ausgabe der Gedichte suchen, Register aufschlagen, Gedicht suchen, wieder hochgehen, Gedicht abschreiben. Genau das tu ich natürlich nicht! Ich google die erste Zeile, kopier den Text und füge ihn in mein Dokument ein. Trotzdem liebe ich meine Bücher.
Was lernen wir daraus? Maschinenstürmerei hat noch nie die Durchsetzung von Innovationen verhindert.Ich will keine Lexika mehr schleppen.IPods für alle!

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Und es gibt ihn doch!

Hurra,ein Leser hat sich zu erkennen gegeben! Florian, du unvergleichlicher, immer noch stark vermisster Lieblingsexreferendarkollege, ich danke dir für diesen Motivationsschub! Nach Wochen der Schockstarre im neuen Schuljahr (statt meines so geschätzten Leistungskurses 33 vitale Fünftklässler, statt Goethes Naturlyrik die Großschreibung der Nomen, statt Fachsimpeleien über Modernisierungsverlierer Streitschlichtung in Sachen "Der schiebt immer seinen Ellenbogen auf meine Hälfte!"), des vorsichtigen Abwartens (Wie wird der neue Schulleiter?)und erkältungsbedingter Dauerschwäche geht es nun wieder weiter. Sollte sich außer Florian hier und da jemand auf diese Seiten verirren, wär' ein Minikommentar nicht schlecht. Man fühlt sich einfach besser, wenn aus dem großen anonymen Rauschen des Netzes mal ein Funkzeichen kommt.

Freitag, 10. Juli 2009

Geschafft!

Die ADO ist beim diesjährigen Abitur das beste Gymnasium Neuköllns.Was sagt Schulleiter Harnischfeger dazu? Seine Schule erscheint in der Liste der Bezirksbesten gar nicht.
Die Übersicht ist hier einzusehen.

Mittwoch, 8. Juli 2009

Berufspraktikum


Zwei Wochen in Berlin unterwegs: zwischen Spandau und Rudow, Wilmersdorf und Prenzlauer Berg, in Werbeagenturen und Zahnarztpraxen, bei Rechtsanwälten und Autoverkäufern, mit S- und U-Bahn, Bus, Tram und Motorrad. Letzteres hier mit Beweisfoto!
Man kommt in der Stadt mal wieder durch Viertel, in denen man ewig nicht war, ist in den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr eng und intensiv mit allerlei Mitbürgern zusammen und führt, wenn man Glück hat, die interessantesten Gespräche mit Menschen, denen man ansonsten nur schwerlich begegnen würde.
Apropos Verkehrsmittel: Aus Gründen, die man in der Tagespresse nachlesen kann, verkehrt die S-Bahn unzuverlässig und ist meist hoffnungslos überfüllt. Es ist warm, die Menschen sind sommerlich gekleidet (Achtung: Euphemismus!)und man kann, wenn man nicht gerade konsequent die Augen abwendet, wirklich gut beobachten, wie man durch langjährige fehlgelaufene Ernährung die eigene genetische Ausstattung modifizieren kann. Das Ergebnis lässt sich dann noch wirkungsvoll durch das passende Outfit unterstreichen.
Die angenehmen Begegnungen hingegen - ein beseelter Logopäde, der ein kurzes Kolleg über alle vorkommenden Sprachstörungen hielt und dieselben auch eindrucksvoll vormachte (ich weiß jetzt z.B., dass es drei Arten des Stotterns gibt), eine strahlende junge Graphikerin, die mit Photoshop "Wimmelbilder" für Vorschulkinder macht, ein stolzer Architekt, der mit seinen Kollegen Fußballstadien in Südafrika und Brasilien baut - waren die mit engagierten, von ihrer Aufgabe erfüllten, durchweg jungen Menschen, die all das Gejammer der abtretenden Generation (Motto:"Nach uns kann nichts Gutes mehr kommen")Lügen straft.
Ob das Praktikum für die Schüler ein Gewinn war? Für einige sicherlich. Für mich war es das allemal!

Montag, 29. Juni 2009

Desinformation

Schlagzeilen der letzten Tage aus der Berliner Morgenpost und dem Tagesspiegel:
- Unterricht an Berlins Schulen wird schlechter
- Jede vierte Schule hat Qualitätsmängel
- Wissenslücken
- So sollen die Schulen besser werden usw.
Worum geht's? Der Bericht über die Schulinspektionen in den Jahren 2007/2008 wurde der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Vergleich zu 2005/2006 wurden weniger gute Ergebnisse erzielt.So weit die Fakten.Die Schlussfolgerungen und Kommentare der schreibenden Zunft sind weitestgehend Humbug.
Es handelt sich nicht um dieselben Schulen wie im ersten Inspektionsbericht. Wie logisch ist die Schlussfolgerung, man beobachte hier einen Prozess der "Verschlechterung"?
Schlechte Noten haben viele Schulen im Bereich "Innere Differenzierung". Was hat das mit "Wissenslücken" zu tun? Der Titel des Kommentars suggeriert, dass entweder die Schüler mit Wissenslücken aus der Schule herausgehen oder dass die Lehrer Wissenslücken hätten. Hier geht es aber in Wirklichkeit um methodische Fragen. Ein gewisses Unterrichtsprinzip wird zum Qualitätsmerkmal gemacht. Schulen sind "gut", wenn sie es in mehr als 80% der Unterrichtszeit anwenden, und zwar unabhängig davon, ob es um die 1. Klasse der Grundschule oder den Leistungskurs bei der Abiturvorbereitung geht, unabhängig davon, ob gerade Werken, Mathematik oder Fremdsprachen unterrichtet werden. Vielleicht täte der Inspektionskommission mal ein bisschen innere Differenzierung gut?
"Rund die Hälfte Lehrer schafft es nicht, im Unterricht auf verschiedene Lernniveaus einzugehen" (MoPo). So soll der sperrige Begriff dem geneigten Leser verständlich gemacht werden. O Graus, die unfähigen Lehrer behandeln alle Schüler gleich, können individuelle Verständnisprobleme nicht erkennen und/oder damit umgehen! Pädagogisches Versagen auf der ganzen Linie!
Was die Inspektion misst und auf ihrem standardisierten Beobachtungsbogen abhakt, ist: Gibt es im Unterricht Aufgaben (z.B. Arbeitsblätter) unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads? Ist das dasselbe wie "im Unterricht auf verschiedene Lernniveaus eingehen"? Kann man das im Unterrichtsgespräch nicht auch? Im Umgang mit unterschiedlichen Schülerbeiträgen? Durch Hilfestellung bei Einzel- und Partnerarbeit?
Bekommen im Sport die einen in der Klasse den Auftrag, ruhig langsamer zu laufen als die anderen? Erhalten dann alle dieselbe Note? Wohl nicht! Gemeint ist vielleicht, dass die einen mehr Training brauchen als die anderen. Aber sind sie danach wirklich genauso schnell?
Ich habe es mit der inneren Differenzierung im Grundkurs Deutsch versucht: arbeitsteilige Gruppenarbeit, einfache Aufgaben für die einen ("Sucht in Emilia Galotti Textstellen, die für eine Charakteristik Odoardos brauchbar sind!"), mittlere ("Fasst den Sachtext über die Struktur der patriarchalischen Familie zusammen!"), schwere ("Erarbeitet Werte und Haltungen des Bürgertums im ausgehenden 18. Jahrhundert auf der Basis des Textes!"). Die Schüler haben ihre Ergebnisse in bewährter Manier auf Folien notiert und vorgetragen. Die stichwortartigen Notizen wurden für alle kopiert. Waren am Ende alle auf dem gleichen Kenntnisstand? Ich bezweifle es. Oder ist das vielleicht gar nicht das Ziel? Aber was ist dann mit dem Zentralabitur, wenn 80% des Unterrichts so verläuft, dass immer dieselben die anspruchslosen Aufgaben bearbeiten? Verstehen sie lückenlos das, was "die Guten" ihnen vortragen, obwohl sie es nicht selbst durchdacht und erschlossen haben? Und was wird aus der Lerngruppe, wenn sich stabile Untergruppen etablieren? Kann nicht die leistungsmäßig gemischte Gruppe die bessere Option sein? Nichts gegen "innere Differenzierung" - im Gegenteil. Aber immer und überall?
Und zurück zu den Journalisten! Sie sollten einmal, wie es ihre Aufgabe ist, vernünftig recherchieren, bevor sie die Verlautbarungen der Bildungsverwaltung nachbeten, als seien sie das Evangelium. Und vielleicht sollten die Titelredakteure (falls es so was gibt) mal stärker kontrolliert werden (Ich schlage "Interne Evaluierung" vor!).Leider wird sich ein Großteil der zeitungslesenden Bevölkerung wieder einmal in ihrem Vorurteil bestätigt fühlen, dass die Lehrer faul und unfähig sind.
Wie hätte eigentlich die Schlagzeile geklungen:
Überwältigende Mehrheit der Berliner Schulen (75%) hat Qualität!?

Sonntag, 28. Juni 2009

Abiball

Dieser Jahrgang hat einen das Staunen gelehrt. Nach dem professionell und liebevoll gestalteten Abibuch der sensationelle Notendurchschnitt und nun auch noch ein Abiball, wie er in den letzten Jahren nicht mehr vorgekommen ist.
Das Abibuch erstaunte schon dadurch, dass es vor Abschluss der Prüfungen fertig war, was angesichts der Tatsache, dass sich die Schüler seit dem 21. April nicht mehr im schulischen Umfeld gesehen haben, schon eine Leistung ist. Jedenfalls hatten die drei vorherigen Generationen seit der Einführung des Zentralabiturs ihre Schwierigkeiten damit, so dass ihr Abibuch entweder nie zustande kam oder mit erheblicher Verspätung erst im nächsten Schuljahr zu erhalten war. Leider haben sich nicht alle Schüler bereit gefunden, eine Selbstdarstellung anzufertigen, sonst wäre das Ganze noch kompletter geworden. Lehrer- und Kursportraits waren nett gemacht, kleine Spitzen wurden diskret angedeutet, niemand wurde hingerichtet oder bloßgestellt. Danke dafür, es ist nicht selbstverständlich! Oft genug artikulieren sich in diesem Medium noch nachgetragene Rachegelüste. Über die Darstellung meiner Person will ich mich nicht ausbreiten; sie ist voller Zuwendung und Anerkennung und hat mich gefreut und gestärkt. Das schöne Foto vom LK Deutsch bekam ich gestern beim Ball dann noch im Großformat mit allen Unterschriften geschenkt, auch dafür danke!
Im originellen Ambiente der Trabrennbahn mit großem Panoramafenster gab es eine stimmungsvolle Feier mit wohldosierten Reden (besonders gelungen die vom Kollegen P.: "Junge, geh auf dem Gestreuten", leitmotivisch auf dem Eis tanzend, aber gleichwohl das Herz wärmend), einem tollen Buffet und Tanz. S. bekam ein Waffeleisen und K. eine anständige Badehose geschenkt.Ich durfte die schriftstellernde Großmutter von F. kennenlernen, an den Sorgen der Eltern teilhaben ("Was soll sie nur studieren? Sie kann sich nicht entscheiden.") und mit allerlei Ex-Kollegen und -Schülern plaudern. Eigentlich müsste ich jetzt noch etwas über die Schülerin S. sagen, deren Abschiedsworte mich wirklich bewegt haben, aber das würde echt kitschig klingen.
Auch der hoch aufgeschossene England-Emigrant war da, ob mit oder ohne Mutter, weiß ich nicht. Letztere hätte ich auf jeden Fall nicht gerne getroffen, wollte sie mich doch auf die Zahlung von 679 Euro verklagen. Eingeweihte wissen, warum.
Es blieb aber alles friedlich, festlich und vergnügt und für die vor dem Ausgang kiffenden Gestalten fühlten wir uns pädagogisch nicht mehr verantwortlich.